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Wie der Ukraine-Krieg den Lehrermangel in der Schweiz verschärft

Die grosse Anzahl der geflüchteten Kinder stellt die Schweizer Schulen vor neue Herausforderungen. Aktuell sind in der Schweiz 11’400 ukrainische Kinder im schulpflichtigen Alter (zwischen 4 und 15 Jahren, Stand 27. April 2022) registriert, wie das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage meldet.

Jedes sechste Flüchtlingskind im schulpflichtigen Alter ist im Kanton Zürich untergebracht, nämlich 1915. Am zweitmeisten Schülerinnen und Schüler hat der Kanton Bern mit 1719. Dann folgen der Kanton Waadt mit 936 und der Kanton Aargau mit 789 Flüchtlingskindern.

Interessiert? Lesen Sie den ganzen Artikel bei der Aargauer Zeitung und den anderen CH Media Zeitungen.

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Neues Gesetz zur Organspende: Lebensrettend oder Eingriff in Grundrechte?

Letztes Jahr profitierten in der Schweiz 587 Menschen von einer Organspende. Demgegenüber stehen über 1400 Menschen, die gemäss Angaben von Swisstransplant auf ein Spenderorgan warten. Nun möchten Bundesrat und Parlament die Chance von Patient:innen erhöhen, ein Organ zu erhalten. Sie wollen die Organspende neu mit der erweiterten Widerspruchslösung regeln. Die vorgeschlagene Änderung im Transplantationsgesetz ist jedoch umstritten, dagegen wurde das Referendum ergriffen. Deshalb stimmen wir am 15. Mai über die Gesetzesänderung ab.

Wie ist die Organspende heute geregelt?

Heute gilt in der Schweiz die erweiterte Zustimmungslösung. Sie richtet sich nach dem Grundsatz: Die Organe dürfen einer verstorbenen Person nur dann entnommen werden, wenn sie zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.

Wenn die verstorbene Person ihren Willen nirgends festgehalten hat – im Organspenderegister von Swisstransplant, auf einer Spendekarte oder in einer Patientenverfügung – müssen die Angehörigen entscheiden. Sie sollen den mutmasslichen Willen der Verstorbenen berücksichtigen. Das ist jedoch nicht einfach, weil sie den Willen in der Mehrheit der Fälle nicht kennen.

Meist entscheiden sich die Angehörigen in dieser Extremsituation, wo sie mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert sind und noch einen schwierigen Entscheid fällen müssen, gegen eine Organspende. 

Was würde sich bei Annahme des Transplantationsgesetzes ändern?

In der Abstimmung geht es um die Einführung der Widerspruchslösung. Diese gilt bereits in den meisten europäischen Ländern, teils mit Einbezug der Angehörigen als sogenannte erweiterte Widerspruchslösung. So ist es auch in der Schweiz angedacht: Neu müsste jede Person, die ihre Organe nicht spenden will, dies festhalten, sonst wird grundsätzlich von einer Zustimmung ausgegangen.

Weiterhin können die Angehörigen aber eine Organspende ablehnen, wenn sie denken, der oder die Verstorbene hätte dies nicht gewollt. Der Bund würde ein neues Register schaffen müssen, in dem alle Personen ihren Entscheid eintragen können. Das kann eine Ablehnung der Organspende insgesamt oder der Spende einzelner Organe sein. Auch eine Zustimmung kann weiterhin festgehalten werden. Grundsätzlich hat auch zukünftig der Wille der verstorbenen Person immer Vorrang.

In der Schweiz sind die Spendezahlen gemäss einer Studie des Europarates verhältnismässig tief. Dies, obwohl in Umfragen rund 80 Prozent der Menschen sagen, sie würden ihre Organe spenden. Mit der neuen Regelung soll, so der Bundesrat, das Potenzial von spendebereiten Menschen besser genutzt werden.

Bei einer Annahme müsse die Bevölkerung umfassend über den Wechsel zur Widerspruchslösung informiert werden. Weiterhin gilt, dass bei unter 16-Jährigen die Eltern entscheiden, sie müssen jedoch die Meinung ihres Kindes berücksichtigen. Auch gelten weiterhin die bestehenden Regeln, welchen Personen ein Organ entnommen werden dürfte: Beispielsweise müssen diese im Spital verstorben und der Hirntod festgestellt worden sein.


Im Video präsentieren SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen und EDU Thurgau-Vizepräsident Marcel Wittwer die Pro- und Contra-Argumente.

Wie argumentieren die Gegner:innen?

Die Gegner:innen des neuen Transplantationsgesetz äussern ethische und rechtliche Bedenken. Die Widerspruchslösung verletze die körperliche Integrität. Sie bedeute einen Eingriff in die Grundrechte, sagt Marcel Wittwer, Vizepräsident der EDU Thurgau.

Problematisch sieht er auch die Tatsache, dass man grundsätzlich von einer Zustimmung ausgeht, auch wenn eine verstorbene Person ihren Willen nicht festgehalten hat: «Eine Organspende ist etwas Freiwilliges und höchst Persönliches, das der Zustimmung bedarf.»

Wittwer anerkennt, dass in der Schweiz ein Organmangel herrscht. Doch er hat Zweifel, ob die Widerspruchslösung daran etwas ändern kann: «Es gibt keine Beweis aus anderen Ländern, dass durch die Widerspruchslösung mehr Organe gespendet werden.»

Was sagen die Befürworter:innen?

Die Befürworter:innen betonen, in der Schweiz würden lebensrettende Organe fehlen. Anders als die Gegner:innen glauben sie, dass die Einführung der Widerspruchslösung daran etwas ändern könne. «In anderen europäischen Ländern, die die Widerspruchslösung kennen, ist die Organspenderate bis zu doppelt so hoch», sagt Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Bern.

Alle fünf Tage sterbe jemand in der Schweiz, weil man kein passendes Spendeorgan gefunden habe. Wasserfallen weist darauf hin, dass die Angehörigen eine Organspende in jedem Fall ablehnen könnten, wenn die verstorbene Person eine solche nicht gewollt hätte. Sie sei überzeugt, so Wasserfallen, «dass wir mit dieser pragmatischen Lösung mehr Klarheit schaffen, die Angehörigen entlasten und Leben retten.»

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament empfehlen, die Änderung des Transplantationsgesetzes anzunehmen. Im Nationalrat sprachen sich 141 Mitglieder dafür aus, 44 dagegen. Der Ständerat sagte ebenfalls Ja – mit 31 zu 12 Stimmen.

Diesen Beitrag habe ich für Discuss it geschrieben. Der neutrale Verein setzt sich für die politische Bildung von Jugendlichen in der Schweiz ein. Erfahre mehr über mein Engagement bei Discuss it.

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Braucht es beim Sex eine explizite Zustimmung? Nein, sagt der Bundesrat

Sein Opfer physisch oder psychisch zu einer Handlung zwingen – das ist nach heutigem Gesetz in der Schweiz Voraussetzung für eine Vergewaltigung. Mit der Revision des Sexualstrafrechts soll sich dies bald ändern. Künftig braucht es für den Straftatbestand der Vergewaltigung weder Gewalt noch Drohung oder psychischen Druck. Es genügt, dass der verbal oder nonverbal geäusserte Wunsch des Opfers missachtet wird.

Dieser Grundsatz des «Nein heisst Nein» soll Grundlage des neuen Sexualstrafrechts sein. So schlägt es die Rechtskommission des Ständerats vor, und so will es auch der Bundesrat. Dafür erntet er Kritik von Frauenvereinigungen, Menschenrechtsorganisationen und Strafrechtlerinnen sowie von den SP-Frauen und den Grünen. Sie fordern eine Zustimmungslösung nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja». Das bedeutet: Sexuelle Handlungen sind nicht nur strafbar, wenn das Opfer Nein sagt, sondern bereits, wenn eine explizite Zustimmung fehlt.

Grünen-Ständerätin Mazzone: «Debatte um Zustimmung ist dringend nötig»

Foto: Parlamentsdienste

Für die Genfer Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone geht die «Nein ist Nein»-Lösung, wie sie der Bundesrat will, nicht weit genug. Besonders die Fälle von sogenanntem «Freezing», wo das Opfer eines sexuellen Übergriffs in eine Schockstarre gerät, seien nicht als Vergewaltigung erfasst: «Das Opfer kann in diesem Moment weder ein verbales noch ein nonverbales Nein äussern», erklärt Mazzone. Mit der «Nur Ja heisst Ja»-Lösung dagegen wäre klar, dass in Freezing-Fällen die Zustimmung fehlt.

Zudem müsse man den Fokus in Strafverfahren vom Opfer zum Täter verschieben: «Bisher – und das würde mit der ‹Nein heisst Nein›-Lösung so bleiben – musste das Opfer zeigen, dass es Nein gesagt hat.» Mit der Zustimmungslösung liege der Fokus auf dem Täter: Er müsste erklären, weshalb er von einer Zustimmung ausgegangen ist.

Problematische Ansichten sind in der Schweiz weit verbreitet

Grundsätzlich ist Lisa Mazzone «sehr froh» über die Gesetzesrevision. Die geschlechtsneutrale und ausgedehnte Definition der Vergewaltigung sei ein riesiger Schritt hin zu einem modernen Sexualstrafrecht.

Doch eine kürzlich von Amnesty International publizierte Studie habe aufgedeckt, dass problematische Ansichten in der Schweiz weit verbreitet seien: Jede fünfte Person empfindet es mindestens eher als Einwilligung zu Sex, wenn das Gegenüber irgendwann früher einmal zugestimmt hat. «Das ist schockierend. Es zeigt, wie nötig die Debatte um die Zustimmung ist», erklärt Mazzone. Sie kommt zum Schluss:«Die Zustimmungslösung ist der einzige Weg, um die sexuelle Selbstbestimmung wirklich zu schützen.»

FDP-Ständerat Caroni: «Debatte geht an zentralen Punkten vorbei»

Foto: Parlamentsdienste

Anders sieht dies der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni. «An den zentralen Punkten der Reform vorbei» gehe die Diskussion um Zustimmungs- oder Vetolösung, sagt er: «Das wird stark hochgekocht, aber in der Praxis ist der Unterschied bescheiden.»

Die Fälle von «Freezing» seien schon im heutigen Sexualstrafrecht erfasst – unter dem Tatbestand der Schändung. Dieser kommt zur Anwendung, wenn ein Opfer wehrlos ist und der Täter das vorsätzlich ausnützt. Das sei heute schon eine schwere Straftat, die entsprechend hart geahndet werde.

Sexualstrafrecht wird bedeutend verschärft

Sodann gebe es bei Sexualdelikten viele Grauschattierungen. Es seien meistens Vieraugendelikte, und die Beweislast liege immer beim Staat. Auch daher wäre in der Rechtspraxis der Unterschied zwischen Zustimmungslösung und Ablehnungslösung gering, argumentiert Caroni.

Viel wichtiger als die Debatte um «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein» seien die grundsätzlichen Vorzüge der Gesetzesreform, erklärt Caroni. Bisher habe es nur zwei Stufen gegeben: Sexuelle Belästigung und die Nötigungsdelikte, wozu die Vergewaltigung gehört. «Nun schaffen wir mit dem ‹sexuellen Übergriff› eine Zwischenstufe, mit der sexuelle Delikte auch ohne Nötigung hart bestraft werden. Das ist eine grosse Errungenschaft», sagt Caroni. Zusammen mit der Ausdehnung des Vergewaltigungsbegriffs sei das eine bedeutende Verschärfung des Sexualstrafrechts.

Dieser Beitrag ist zuerst in den CH Media-Zeitungen erschienen.