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Trotz Neutralitätsbedenken von SVP und FDP: Nationalrat will eigene Sanktionen

Es wäre vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine undenkbar gewesen. Doch jetzt findet das Anliegen eine Mehrheit im Nationalrat. Die Schweiz soll nicht nur Sanktionen der UNO und der EU übernehmen, sondern auch eigene beschliessen können – so will es der Nationalrat. Am Donnerstagmorgen hat er einer Revision des Embargogesetzes zugestimmt.

Konkret soll der Bundesrat künftig autonome Zwangsmassnahmen gegen Staaten, Personen und Unternehmen ergreifen dürfen, die sich an Verletzungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte oder an anderen Gräueltaten beteiligen. So hat es die aussenpolitische Kommission vorgeschlagen. Das hiess auch eine Mehrheit des Nationalrats gut – mit Ausnahme der FDP und SVP.

Bedenken von der FDP, martialische Worte von der SVP

Es ist ein Paradigmenwechsel in der Schweizer Sanktionspolitik, ja gar in der Neutralitätspolitik. An dieser Tatsache entzündete sich denn auch die Debatte in der grossen Kammer. Es sei gelinde gesagt fahrlässig, eine solche Änderung ins Embargogesetz zu schreiben, ohne zuvor die Folgen für die Neutralität zu prüfen, sagte Petra Gössi (FDP/SZ): «Wir dürfen uns nicht vom aktuellen Geschehen zu einem Beschluss verleiten lassen, dessen Folgen nicht absehbar sind.»

Martialische Worte fanden die Wortführer der SVP. Mit den Wirtschaftssanktionen mache sich die Schweiz «zur Kriegspartei in diesem fürchterlichen Gemetzel», zürnte Roger Köppel (ZH). Neutralität bedeute auch, dass alle Kriegsparteien die Schweiz als neutral erachten würden. «Die Schweiz ist schon jetzt nicht mehr in der Lage, ihre vitalen Friedensfunktionen zu erfüllen», kritisierte Köppel. Das Anliegen, eigene Sanktionen der Schweiz zu ermöglichen, erinnerte ihn an «Grossmachtfantasien».

Politische Mitte ist klar für eigenständige Sanktionen

Erstaunen äusserte Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL), dass ausgerechnet die SVP als Verfechterin der Souveränität die autonomen Sanktionen derart bekämpfe. Denn autonome Sanktionen würden die Eigenständigkeit der Schweiz erhöhen. «Wir können nicht im Namen der Neutralität auf der Zuschauertribüne verharren – und dann noch erwarten, dass uns die Welt dafür bewundert», erklärte Schneider-Schneiter.

Auch die GLP sprach sich für eigenständige Sanktionen aus. Tiana Angelina Moser (ZH) erklärte, das Anliegen sei unabhängig von der Weltlage berechtigt. Die Gesetzesrevision diene der Einhaltung der Neutralität. «Zugleich erlaubt sie uns, selbst aktiv zu werden. Das bedeutet aber nicht, dass wir alleine handeln», so Moser.

Ist Bundesrat noch auf der Höhe der Zeit?

Fabian Molina (SP/ZH) sagte, wenn das Völkerrecht gebrochen werde, müsse die internationale Gemeinschaft die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. «Heute ist der Bundesrat in dieser Sache alles andere als vorbildlich», kritisierte Molina. Die Regierung sei «nicht auf der Höhe der Zeit», wenn sie eigenständige Sanktionen noch immer ablehne. 

Ähnlich argumentierte Sibel Arslan (Grüne/BS). Das bestehende Embargogesetz sei «ungenügend und nicht mehr zeitgemäss». Der innen- und aussenpolitische Druck zwinge den Bund faktisch zur Übernahme von Sanktionen. «Weiterer Spielraum bleibt ihm verwehrt», so Arslan. Es brauche deshalb eigenständige Sanktionen – im Einklang mit einem neuen Begriff von Neutralität, die «Unrechtmässigkeiten nicht duldet».

Nun muss das Embargogesetz nochmals durch den Ständerat

Nach der ausführlichen Debatte sprach sich der Nationalrat mit 107 zu 82 Stimmen für eigenständige Sanktionen aus. Damit geht das Geschäft nun zurück in den Ständerat. Denn dieser hatte vor einem Jahr – also unter gänzlich anderen Vorzeichen – einer ganz anderen Version des Embargogesetzes zugestimmt.

Autonome Sanktionen gegen Personen wurden damals nur von einer Minderheit um Carlo Sommaruga (SP/GE) gefordert. Eine Mehrheit des Ständerats folgte damals der Argumentation von Bundesrat Guy Parmelin. Er hatte den Beschluss eigener Sanktionen als «grundsätzliche Abkehr von der Schweizer Neutralitätspolitik» bezeichnet.

Dieser Beitrag ist zuerst in den CH Media-Zeitungen erschienen.

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Die «Lex Booking» steht: Parlament schützt Hotels vor «Knebelverträgen»

Sie sind der Schweizer Hotellerie seit Jahren ein Dorn im Auge: die sogenannten Preisbindungsverträge. Diese verbieten Hotels, die Zimmer auf der eigenen Website zu günstigeren Tarifen anzubieten als auf Buchungsplattformen wie Booking.com. Zugleich haben die Online-Plattformen eine solche Marktmacht, dass Hotels faktisch gezwungen sind, ihre Angebote dort zu platzieren. Von «Knebelverträgen» war deshalb die Rede, die den fairen Wettbewerb einschränken würden.

Damit soll nun bald Schluss sein: Mit 38 zu 7 Stimmen befürwortet der Ständerat die «Lex Booking», die sogenannte enge Paritätsklauseln im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verbietet. Damit soll die Marktmacht von Online-Buchungsplattformen zugunsten der einheimischen Hotellerie eingeschränkt werden.

Auch der Ständerat will eine strengere Regelung als der Bundesrat

Damit folgt der Ständerat dem Beschluss des Nationalrats, der die «Lex Booking» in der Frühlingssession angenommen hatte. Die grosse Kammer hatte den Gesetzesvorschlag des Bundesrats sogar noch verschärft – im Sinne der Hotellerie. Der Nationalrat schlägt vor, nicht nur Preisbindungsklauseln, sondern generell alle engen Paritätsklauseln zu verbieten. Ähnliche Regeln gelten bereits in Frankreich, Italien und Österreich.

Bereits 2015 hatte die Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) verboten, dass Buchungsplattformen von den Hotels eine «Bestpreis-Garantie» verlangen. Seither durften die Hotels ihrer Kundschaft per Telefon, Mail oder in persönlichem Kontakt günstigere Angebote machen – allerdings nicht auf der Hotelwebsite.

Stärkung der KMU und des fairen Wettbewerbs

Nur wenige Ständeratsmitglieder sprachen sich gegen die «Lex Booking» aus. So etwa Andrea Caroni (FDP/AR). Er warnte davor, der Propaganda der Hotellerie «auf den Leim zu kriechen». Die Vorlage sei ebenso falsch wie unnötig. Sie führe vor allem dazu, dass die Kundschaft auf Booking.com ein Hotel aussuche und das Zimmer dann günstiger auf der Hotelwebsite buche.

Das bestritt Pirmin Bischof (Mitte/SO), der die Reform 2016 mit einer Motion angestossen hatte. Die Erfahrung der Nachbarländer mit ähnlichen Regeln zeige, dass solches Trittbrettfahren nicht eingetreten sei. Die Schweiz sei das einzige Land rundum, in dem die marktverzerrenden «Machenschaften» der Online-Plattformen nicht längst verboten seien.

Auch Beat Rieder (Mitte/VS), der als Präsident der Walliser Tourismuskammer die Interessen der Hotellerie vertritt, nannte die Vorlage einen «äusserst wichtigen Schritt zur Stärkung der KMU». Es sei im liberalen Interesse, sämtliche Preisbindungsklauseln zu verbieten und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

Booking.com äussert Bedauern und warnt vor höheren Preisen

«Enttäuscht über den Entscheid» zeigt sich Booking.com. Die Firma, die den Online-Buchungsmarkt in der Schweiz mit einem Anteil von über 70 Prozent beherrscht, prophezeit: «Das neue Gesetz wird zu höheren Preisen für Reisende führen und könnte den Wettbewerbsprozess beeinträchtigen.» Dies würde sich negativ auf die gesamte Tourismusbranche auswirken, heisst es in der Mitteilung weiter.

Dieser Beitrag ist zuerst in den CH MediaZeitungen erschienen.